Christine Ballivet ist gestorben. Was mich jetzt bewegt...
Letzten Donnerstag kam die Nachricht, dass Christine Ballivet gestorben ist. Sie war in einer Sitzung in Lyon, verlor ihr Bewusstsein und konnte nicht mehr zurückgeholt werden. Und so war es mit Christine: sie war nur präsent, wenn sie es wollte.
Christine gehört zu den Menschen in meinem Leben, die mich am tiefsten beeindruckt haben. Wenn ich an Gespräche-als-Ereignisse denke, denke ich an Christine. Ob in der Kneipe in Amsterdam, in den Seminaren im „blauen Haus“ in Kirchen oder auf der Terrasse in der Drȏme, ihre Worte waren immer & immer & immer wie Lebewesen. Was sie sagte, fühlte sich an wie Tiger & Elefanten & Kolibris. Sie sagte nichts ohne Blut und Leidenschaft.
Christine war schon eine Ewigkeit krank. Aus irgendeinem Grund konnte sie nicht essen. In Amsterdam haben wir gemeinsam Tage & Tage verbracht, an denen sie nur Kaffee trinken, Zigaretten rauchen, Eis essen und dazu mit Mühe ein Keks zu sich nehmen konnte. Mehr nicht. Alles andere war zu viel, zu fett, zu beliebig, zu uneigentlich. Sie sagte: „Die Luft in der Stadt wo Rembrandt lebte, reicht mir“.
Mit Christine bin ich immer & immer in die Landschaft der Sprache eingetaucht. Sie war Französin, ich bin Holländer. Unsere gemeinsame Sprache war aber immer Deutsch. Sie konnte deutsch reden, wie eine Pianistin Gitarre spielt: nachdenklich, langsam und genau. Sie war wie Foucault, als er über Heidegger sprach: tiefsinnig verzweifelt, tastend.
Christine konnte denken. Und sie verstand, wie unmöglich schön & schön unmöglich die Menschen sind. Und sie war Anthroposophin. Ich glaube, sie war die erste postmoderne Anthroposophin, die ich kennen lernte. Ihr Denken war nicht nur von Steiner, sondern auch von Deleuze geprägt. Und weil sie postmodern war, hatte sie den Mut zum Denken. Nicht was angeblich stimmte, hat Christine überzeugt – nur was sie zusammen mit anderen denken konnte, war für sie wahr.
Dieses zusammen mit anderen denken war ihre Leidenschaft. Dieses Bewegen der Gedanken, so dass man das Gefühl hatte: der Tisch der die Aschenbecher trägt, bewegt sich mit, steigt zum Himmel oder stürzt in den Abgrund, war ihre Kraft. Oder noch anders gesagt: ihr Denken war einverleibt. Oder noch anders: sie hat gedacht, so wie die meisten Menschen essen.
Jetzt ist Christine tot. Natürlich: sie wird auf einer anderen Ebene weiter existieren. Dieser denkende & bewegende & schauende & rauchende & leidenschaftliche Mensch ist aber gegangen. Für immer. Ich werde Christine vermissen.
Voor de mensen uit Nederland: zie ook http://antroposofieindepers.blogspot.com