16.01.2009

Über das Gespür für Nähe als Gefühl. Engagement

Nähe ist ein Gefühl. Die Frage ob es Nähe gibt, wird nicht über das Denken beantwortet – das Denken entscheidet höchstens über die Frage, welche Bedeutung wir der Nähe verleihen. Auch wenn das Denken feststellt, dass das Gespür für Nähe auf einer Illusion beruht, was ja durchaus sein kann, ändert das nichts an der Tatsache, dass die – eventuell illusorische – Nähe im Gefühl gespürt und erlebt wird.

Auch kann Nähe nicht durch den Willen erzeugt werden. Entweder gibt es Nähe oder es gibt sie nicht. Wir können Nähe zwar wollen, was soviel heißt wie, uns nach Nähe zu sehnen, und wir können bestimmt auch etwas dazu beitragen, dass Nähe entsteht; uns zum Erscheinen der Nähe zu entscheiden, so wie wir uns zu einem Spaziergang entscheiden, geht aber nicht.

Nähe wird gespürt. Nähe offenbart sich unmittelbar. Nähe ist, wie gesagt, ein Gefühl und Gefühle sind souveräne Erscheinungen. Ein Gefühl ist ein Phänomen, genauso wie ein Baum & ein Auto & ein gesungenes Lied & ein Geruch auch Phänomene sind. Der Unterschied zu sichtbaren und hörbaren und „riechbaren“ und tastbaren Gegenständen liegt darin, dass ein Gefühl eine innere Angelegenheit ist. Gefühle scheinen in meinem Innenraum zu „schweben“.

Die Tatsache, dass Gefühle intentional sind, sich also immer auf etwas beziehen, bedeutet nicht, dass sie zweitrangig sind. Die Intentionalität der Gefühle erzeugt leicht den Gedanken, dass Gefühle keine Bedeutung-für-sich haben, oder anders gesagt: nur das, was Gefühle ausdrücken scheint wichtig zu sein, und nicht das, was Gefühle sind.

Gefühle, so meinen wir, drücken auf die eine oder die andere Art und Weise unsere Beziehungen zu den Dingen, Menschen, Begriffen, Erinnerungen & Handlungen aus. Sie drücken Sympathie oder Antipathie aus. Und in gewissem Sinne stimmt das natürlich auch: Wenn mir die Rosen in meinem Garten Freude bereiten, heißt das, dass ich eine positive Beziehung zu ihnen habe. Stärker noch: ich möchte mich gerne durch die Rosen verändern lassen, was ja den höchsten Ausdruck einer sympathischen Beziehung darstellt.

Dennoch reicht es nicht aus zu sagen, dass Gefühle etwas ausdrücken, so wie Gedanken das machen. In seinem Buch Phänomenologie der Wahrnehmung spricht Maurice Merleau-Ponty von dem „Gefühl als Engagement“, man könnte auch sagen: als Beteiligung. Durch unsere Gefühle sind wir an Dingen, Menschen, Begriffen, Erinnerungen & Handlungen beteiligt.

In meinen Gefühlen bin ich kein Beobachter mehr, sondern ein involvierter Partner, Freund (oder eben Feind) und Liebhaber. Gefühle sind Orte der intentionalen Beteiligung-als-reale-Beziehung, wo es keine Distanz mehr gibt, die für die Gedankenbildung essentiell ist.

15 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Lieber Jelle,
vielen Dank! Ich bin neugierig auf die Fortsetzung.
Herzliche Nähe und Grüße, Birgitt

Anonym hat gesagt…

Lieber Jelle van der Meulen,

ist nicht zu unterschied zwischen Gefühlen und Emotionen und/oder Gefühlen und Empfindungen?

Manchmal stellt sich mir das Gefühl von Nähe einfach nur als Ahnung dar und ich traue diesem Gefühl nicht, weil ich bemerke, dass diese Nähe getragen ist von bestimmten Emotionen.

Im Zusammenhang mit dieser virtuellen Nähe, die - wie man ließt und auch nachfühlt - durch dieses Bloggen entsteht, stelle ich mir die Frage danach, inwieweit diese Nähe empatisch ist und/oder eine reine Spiegelung meiner selbst darstellt und somit folglich eine Nähe zu mir selbst ist.

Liebe Grüsse
Melina

Anonym hat gesagt…

So weit ich mich erinnern kann hat Karl König mal diese Unterscheidung getroffen:

Empfindungen sind Kinder des Lichts.
Emotionen sind Kinder der Dunkelheit.

Schönen Sonntag
KlausMaria

Anonym hat gesagt…

Liebe Melina, das frage ich mich auch schon eine zeitlang. aber das ist doch vielleicht weil man nichts von einander weiss. und da muss man schon gute durchdachte, durchfühlte Sachenschreiben können, wollen, dass dann immer wieder Nähe entstehen kann.! grüsse an alle Andrea

Anonym hat gesagt…

Diese Seite hat mich sehr sehr beschäftigt und nachdenklich gemacht und letztendlich auch in eine kleine Krise gestürzt und vor allem wachgerüttelt. Die Worte von Ponty: Gefühle als Engagemant - Jelle spricht auch von Beteiligung an Dingen, Menschen... Aber wann spricht man von Beteiligung oder Engagement? Ist eine Beteiligung erst eine Beteiligung, wenn sie sichtbar wird? Dann heißt das für mich: "Gefühle zeigen und leben" und nicht "Gefühle denken und aushalten"! Wenn ich Gefühle immer nur in mir aufbewahre und verstecke, dann machen sie mich sehr einsam.
Dies klingt ein bisschen komisch und simpel, aber für mich bedeutet es ziemlich viel. Danke für eure Geduld beim Lesen.

Anonym hat gesagt…

Ich denke auch dass das ein Thema ist, das Viele von uns berührt und beschäftigt.

Ich frage mich zuerst, wem ich mich Nahe fühle und was für eine Art Engagement (um dieses Wort einfach mal zu übernehmen) ein Jemand MIR entgegenbringt, damit ich mich dieser Person nahe fühle (wobei ich mich hier auf die Nähe beziehe, die man zu einem Freund bzw. einer geliebten Person empfindet).

Und wahre Nähe ist für mein Empfinden (danke KlausMaria) ein Gefühl des Begleitetwerdens, welches mir sehr behagt und welches ich dann wiederum auch bemüht bin weiterzugeben, sofern es gewünscht wird.

Sohin verstehe ich die Nähe als Engagement auch als MITGEFÜHL (nicht Mitleid).

Liebe Grüsse
Melina

Anonym hat gesagt…

Liebe Leute, ich bin verwirrend, ich habe Husten und habe etwas Fieber und sollte lieber Tee trinken und im Bett liegen. Trotzdem sitze ich am pc, weil er diesen Abend frei ist und ich weiss wie viele Gefühle und Gedanken in mir aufgestappelt habe.und mich vielleicht ähnlich einsam fühle wie anonym. warum die Gefühle in Emotionen und Gefühle teilen, manchmal ist doch einfach Emotion nur das bekannte gängige Fremdwort für Gefühle. Oder nicht???? Jedenfalls an manchem Stammtischgespräch. Also wenn so ein beliebiges Gespräch in Gange ist und die Leute sich kennen lernen wollen oder schon kennen und sich so wahrnehmen können, wie wir hinterm Computer eben nicht. Also Beteiligung an etwas kann ja so vielfältig aussehen wie die Menschen eben aussehen können. also auch wenn man nicht sieht dass jemand beteiligt ist, wie eben manchmal auf Jelles bloggsite und Zum Beispiel bei einem Vortrag oder in der Schule Interesse haben oder teilnahmslos schauen und aber aufmerksam auf die Nebensächlichen Wichtigkeiten hören. Aber Beteiligung am Computergespäch muss ich halt die Tasten berühren und in diese Passwort, Nutzernamenspalte klicken usw Ich finde die Jugend mit ihren msm Kontakten,hat es da einfacher als wir mit diesem Bloggen.!!!!Also dass du mit deinen Gefühlen einsam dich fühlst ist, weil du dich versteckst und aber lieber was anderes als das tun möchtest. Jelle sagte dass Meinungen einsam machen,also Gefühle sollten das nicht tun? weil man eben verschiedener Meinung sein kann und jeder dann vielleicht doch noch recht haben will. aber was sind denn Meinungen: Gedanken vermischt mit Gefühlen.? Aber Gefühle zeigen oder nur andeuten ein bisschen, dass verbindet und bringt Nähe? Und irgendwie vermisse ich Nicole mit ihrer angefangen Geschichte, die ich erst recht nicht fertig kriege. und Wim? Oh gerade kam melinas text herein bevor ich meinen los geschickt habe . mein Text wirkt und ist wie trampelig unter so viel feiner Ausdrucksweise.gute nacht und ich bin gespannt was passiert. Andrea

Nicole hat gesagt…

Liebe Andrea,
kaum zu glauben, taucht mein Name da auf in Deinem Text und ich freue mich. Ganz spontan ein Gefühl der Freude, eingebettet in ein kleines Erschrecken.
Die angefangene Geschichte hatte ich weitergeschrieben, aber dann nicht abgeschickt, als ich Deine Fortführung las. Vielleicht schicke ich sie als alternative Fortführung hinterher.

Ich hatte in den letzten zwei Wochen das Problem, das mich das Thema Sprache noch sehr beschäftigt. Ehe mein Text fertig war, erschien dieser Text über Nähe. Dann habe ich überlegt, wo dann das über Sprache hingehört. Inhaltlich vielleicht in den Blog von letzter Woche, aber vom inneren Engagement her hierhin. Weil hier findet Jetzt ja das Lesen, Überlegen, Entscheiden, sich Trauen oder Verhindern statt.
Ich habe also etwas geschrieben, das wurde immer länger und ich habe es sicher zehn bis zwölf mal überarbeitet. Aber es bleibt dann bei mir. Ich trete nicht ein in den Prozess, mit Anderen etwas zu entwickeln, vielleicht nur etwas anzustoßen und darauf zu vertrauen, dass das Überflüssige eben liegenbleibt.
Ich freue mich darüber, dass Menschen es wagen, Sachen einfach so zu schreiben wie sie JETZT SIND.
Wünsch ich mir auch.
Viele Grüsse, Nicole

P.S. Ich poste das über die Sprache einfach im vorigen Blog, da stört es den Lesefluss nicht.

P.P.S. Gute Besserung!

Anonym hat gesagt…

Ich spüre zurzeit eine tiefe Traurigkeit. Vielleicht sollte ich froh sein über diese Nähe zu mir selbst? Aber wo ist das Engagement zu finden?

Jelle van der Meulen hat gesagt…

Auch diesmal ist viel gesagt & geschrieben. Danke dafür. Mit der Nähe machen wir weiter. Mich hat die Traurigkeit von Anonym betroffen gemacht. Ja, ich glaube schon, dass Einsamkeit eine Nähe zu mir selbst erzeugen kann, aber nicht unbedingt. Mir scheint eine richtige Frage zu sein: wie kann ich mich aktiv an meiner Einsamkeit beteiligen (= mich damit engagieren)? Ich verstehe Merleau-Ponty aber so, dass er sagt: Das Gefühl (der Einsamkeit) heißt Beteiligung. In seiner Einsamkeit ist man mit sich selbst beteiligt, und zwar auf diese Art und Weise. Die Frage wäre dann: Wie kann das Engagement der Einsamkeit zur Verwandlung führen? Herzlich, Jelle van der Meulen

Anonym hat gesagt…

Meines Erachtens sucht die Einsamkeit kein Engagement. Nein. Einsamkeit sucht Akzeptanz. Einsamkkeit will erlebt werden, will angenommen sein, nicht abgestoßen werden. Und, vielleicht nennt man das dann ein Ja-Sagen zu dem, was ist. Nähe zu dem spüren, was da ist - und nichts anderes "vortäuschen", weil es ja sozial so unbequem sein kann, einsam zu sein...
All die großen und kleinen Gefühle wollen "angenommen" werden, wollen eine Daseinsberechtigung in mir haben, wollen dasein dürfen.

Engagement kommt später - geht über Gefühle hinaus.

Herzlich!

Nicole hat gesagt…

IMMER bin ich einsam, aber ich brauche nicht isoliert zu sein.

Traurig ist traurig.
Sollte froh sein ist ein Anspruch, der mit der Traurigkeit, die jetzt im Körper sich entladen will, nichts zu tun hat. Ein trauriger Mensch weint bis er damit fertig ist und dabei kann er es gut haben, weil er das tut, was in ihm ist...

Sei ruhig traurig. Nicole

Anonym hat gesagt…

Danke! Ja, weinen ist jetzt dran. Aber das reicht nicht. Die Traurigkeit ist uralt, sitzt tief in mir drin. Und wird gerade durch ein ebenso altes Gefühl des abgelehnt werden ausgelöst.
Und in diesem Gefühl spüre ich nur das Gefühl und sonst nichts.

Anonym hat gesagt…

"Nähe ist ein vertrautes Gefühl, das im Herzen entsteht und dort lebt."

Ch.

Anonym hat gesagt…

wenn es still wird um mich, kommt die Nähe und der Schmerz und die Traurigkeit und die Reise nach innen...aber diese Nähe fühlend ist auch Kraft und Lebensfreude und Spass und Leben...Ohne diese Nähe wäre alles nichts mehr.