02.01.2009

Blogs als Orte einer Kultur des Herzens. Autobahn oder Kneipentisch

„Zu einer Kultur des Herzens gehört das Eröffnen“. Dieser Satz findet sich in einem Kommentar von „Nicole“ hinter meinem Blog „Text mit Titel“ vom 22.12.2008. In einem zweiten Kommentar beschreibt die Autorin treffend alle entstandenen Kommentartexte zusammen, dass sie wie „ein gewebter, quergestreifter Teppich, mehr lang als breit, der ´Kommentare` heißt“ seien.

Und über diesen Teppich-von-Kommentaren schreibt sie dann: „Ein vogelfreier handgeknüpfter Text,/ ein herzgeknüpfter Teppich,/ urhebende Leser,/ eventuelle Autoren, / fremdsprachige, uribische, küchenlateinische und/ missionarische Weihnachtsgrüße,/ passierende Iche.“

In diesen poetischen Sätzen erkennen die Beteiligten einen Prozess, vielleicht besser: einen sprachlichen Vorgang, der mit meinem Text angefangen hat & dann mit einem Gedicht auf Niederländisch von Wim Maas einen nächsten Schritt gemacht hat. Das Gedicht wurde von „Nicole“ auf Deutsch übersetzt & darauf folgte ein Text von „Ch“. In diesem Text wurde unter anderem das Wort „Text“ als Textur = Gewebe, Geflecht und Zusammenhang erklärt.

Nach einem Dankeschön von Hermann Finkelsteen (Sei gegrüßt! Auch Murat!) kam ein Gedicht von Frank Fischer-Helweg (Sei auch du gegrüßt!), das mit den Worten endete: „Ich passiere mir/ ich passiert“. Nach einem Gruß von Maria Becker (Sei auch du gegrüßt!) kam dann der erste Kommentar von „Nicole“. Und nach einer Bemerkung von Sebastian Gronbach (Sei herzlich aus deinem Kölle gegrüßt!) ging es weiter & weiter...

Also, da ist ein richtiger Teppich von Worten, Bildern, Gedanken, Wendungen, Grüßen, Rückblicken, Fragen, Antworten, Sprüngen... entstanden und „Nicole“ schien mir mit ihren Kommentaren die spanische Tänzerin zu sein, die in einer Kneipe auf den Tisch springt & tanzt, und damit alle Anwesenden zu einem Ereignis zusammenführt.

In Blogs und Kommentaren werden oft Meinungen ausgetauscht. Blogger machen sich über dieses und jenes Gedanken, genauso wie auch ich das öfters mache - über Behinderung oder Kindheit oder Klauen oder Freundschaft. In den Kommentaren werden die Gedanken darauf bestätigt, bestritten oder erweitert. Und das ist auch gut so, weil es der Art und Weise entspricht, wie wir in der öffentlichen Gesellschaft Diskurse gestalten.

In einem Kommentar zu meinem Blog über Behinderung vom 7.12.2008 schreibt aber jemand: „Es ist hier fast so unverbindlich, wie auf der Autobahn“. Mit „hier“ ist offensichtlich mein Blog gemeint. Ich verstehe diese bittere Feststellung so, dass die Autorin enttäuscht ist. Sie wünscht sich Verbindlichkeit. Mit Meinungen ist es aber eben so (und das ist auch gut so), dass sie einsam machen.

Die Kommentare auf den Blog „Text mit Titel“ haben jedoch gezeigt, dass es auch möglich ist, über die Ebene der Meinungen hinaus zu schwingen. Wenn man über diese Schwelle hinweg tanzt, kommt man in einen Bereich, in dem Begriffe nicht herrschen, sondern dienen. Begriffe sind hier wie die Schuhe einer Tänzerin.

Man könnte diesbezüglich durchaus von einer Öffnung nach oben und nach unten sprechen. Man schwingt sich in die klaren & verwirrenden Welten von Apollo & Dionysos hinein.

Also, Autobahn oder Kneipentisch? Klar, auf die Autobahn können & wollen & müssen wir nicht verzichten. Trotzdem wäre es schön, zusätzlich auch manchmal einen Tanz auf einem Kneipentisch zu erleben. Um das zu ermöglichen, muss mein Blog neu eingerichtet werden - glaube ich. Das erste Problem ist, dass die Kommentare hinter meinen Texten verborgen bleiben. Und das Zweite: Es sind keine Kommentare, sondern Spielbeteiligungen.

Vielleicht gibt es noch ein paar Probleme & Fragen & Ideen? Es wird noch ein bisschen dauern, aber entsprechende Änderungen stehen an. Ein gutes neues Jahr!

10 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Lieber Jelle van der Meulen!
Deine Gedanken zum Blog sprechen mir teils aus der Seele - und den Anpsruch zu haben "gemeinsame" Begriffe zu finden-oder zu suchen, sich also im Anderen wie wiederzufinden - ist für mich ein lebenslanges, immer wiederkehrendes Ringen.Mir pesönlich kommt an dieser Stelle
Platons Begriff der Ideenwelt mehr zur Hilfe; um einen sogenannten "Wesenszusammenschluß" zu bilden (auch "Wesensverschmelzung"(Witzenmann schrieb darüber, vielleicht kennst Du es ja), wie in einer großen Musik, oder dem gewebten Teppich von Worten und Poesie...oder eben sich im Geiste "zu finden"..)
Künstlerische Arbeit ist oft in gewisser Weise zunächst einmal"antisozial", meistens währende der Konzeption, oder der ersten Bildanlage usw..wenn auch schlußendlich für die Anderen gemacht, für wen auch sonst?
Es ist eben ein nicht einzuschätzendes Risiko, sich auf die Plattform eines Blog mit zu begeben, und auch eine große Herausforderung an den eigenen Freiheitsbegriff; nun zeigt das letzte Ergebnis schon auch etwas wunderbar Gelungenes an Webwunder!
Dazu meine herzliche Gratulation!
und Roses NEUJAHRSWÜNSCHE II
gleich mit hinzu! Herzlichst.Maria

Es schneit
Neujahrswünsche
Briefvögel
aus aller Welt
kommen geflogen
Boten
bringen Geschenke
Wir freuen uns zurück
ins vergessene Land
hören wieder die Worte
‚Liebe deinen Nächsten
wie Dich selbst:‘

Rose Ausländer

Anonym hat gesagt…

Replik auf deinen "Text" und Entstehung eines neuen "Textes".

Was entsteht eigentlich, wenn etwas entsteht?

Noch einmal habe ich deinen Beitrag "Text mit Titel" gelesen und frage mich, was eigentlich genau das Einladende daran war, dass so viele Menschen so wunderbare Dinge darauf geschrieben haben.

Du hast etwas entstehen, Worte erblühen lassen. War es das?
Du hast uns – die konkreten und fiktiven Leser - an der Entstehung eines Textes teilnehmen lassen. Und ein Kreis von – realen! - Lesern hat diesen Text gefunden. Damit haben sie auch dich ("den Verfasser", Samuel, Jelle van der Meulen oder eben das "schreibende Ich") gefunden, sowie sie offensichtlich auch - oder in besonderem Maße - sich selbst in dem entstandenen Text gefunden haben.

Nachdem die Leser also etwas ge-funden hatten, konnten sie etwas er-finden – und das Weben des Text- und Wortteppichs hat seinen Lauf genommen.

Ich schiebe es also zunächst auf den Text selber und dann auf die Leser. Wie viele mögen sich nicht zu Wort gemeldet haben – und gegebenenfalls, warum nicht? Fest steht aber, dass eine Fülle von Gedanken sichtbar geworden ist.

Ich glaube, dass das auch mit dem Zeitpunkt zu tun hat. Die sogenannten Weihnachtstage sind ja gar nicht unbedingt so einfache Tage. Und offensichtlich gab es viele Menschen, nicht zuletzt auch mich, die durchs Internet gesurft sind – statt am Weihnachtsbaum zu sitzen… Plötzlich entsteht Zeit und Raum, um Worte zu verbinden, ein Geflecht entstehen zu lassen und einen Text-Teppich zu knüpfen.

Ich nehme an, dass sich die meisten Schreiber nicht kennen – ich jedenfalls kenne die meisten nicht – und trotzdem ist eine Schale entstanden, in der die viele Worte gesammelt werden konnten.

Was heißt es also, wenn etwas ent-steht? Im etymologischen Wörterbuch findet sich die einfache Beschreibung: etwas wird, etwas beginnt zu sein.

Ich bin gespannt, was du im Schilde führst – und was das Neue ist, das entsteht, wird, beginnt…

In diesem Sinne – auf ein wortreiches und poetisches 2009!
Herzlich, Ch.

Anonym hat gesagt…

Lieber Jelle,

als Erstes möchte ich ein Dankeschön aussprechen für die Inspiration, die durch Deinen Text kam - wir haben die Kultur des Herzens in unserem Blog aufgegriffen...

Eine technische Frage: Verstehe ich Dich richtig, Du möchtest gerne die Spiebeteiligungen direkt unter dem Text erscheinen lassen? Das ist leicht möglich... bei den Blogeinstellungen...

Alles Liebe

Bodo

Anonym hat gesagt…

das nenne ich Synchronizität ... ;-))

Jasna Caluk hat gesagt…

Lieber Jelle van der Meulen,
Liebe LeserInnen und Leser,
Liebe SchreiberInnen und Schreiber
und darüber hinaus!

ich wünsche von Herzen ein gesegnetes neues Jahr 2009 in entschiedener Liebe und Barmherzigkeit in beständigem Glück und mit Gottes Kraft, allen Herausforderungen zu begegnen und sie zu meistern.

In Liebe und Dankbarkeit
Jasna Caluk

Anonym hat gesagt…

Liebe Texter und Texterinnen, auch von mir ein gutes neues Jahr und heute einen königlichen drei Königstag. Ich habe einige Jahre diese sogenannten Monatstugenden von Witzemann gelesen und anfangsvor 25 jahren fast nichts davon verstanden und einzig die Faszination für die zu komplizierte Ausdrucksweise liessen mich immer zu dem Büchlein greifen und die eigentlichen zwölf Texte lesen und mich begreifen lernen. " Das Jahr mit Mut beginn! In Erlöserkraft seh`allen Sinn! ....." So fängt meine Kurzfassung an und ist auch nie fertig geworden. Liebe Grüsse Andrea

Nicole hat gesagt…

Die drei waren auf der Durchreise. In der Kölner Altstadt kamen sie zu einer Kneipe, die hieß Stella Maris. Sie traten ein. Es war kalt draußen, es hatte sogar geschneit. Sie rieben sich die Hände und wären fast mit dem Köbes zusammengestossen, das war ein freundlicher, etwas beleibter, bärtiger Mann mit grauen Haaren, dessen Augen hinter der Brille schnell erfassten, dass diese Fremden eine lange Reise hinter sich hatten. Auf der Autobahn war es glatt gewesen. Ein nicht einzuschätzendes Risiko, sagte ein Gast, der die Fremden ebenfalls bemerkt hatte. Der Köbes nickte und hob das Tablett mit den Kölschgläsern hoch über die Köpfe der Gäste, um in den hinteren Teil der Wirtschaft zu gelangen.

Die drei folgten ihm. Die Mittagszeit neigte sich dem Ende. Nur am Nebentisch saß eine Ausländerin. Sie hatte eine Rose vor sich liegen, so eine, wie sie von fliegenden Händlern den Liebespaaren verkauft werden. Die drei Fremden bestellten sich Himmel un Äd und dazu ein Kölsch. Sie murmelten miteinander und stellten Mutmaßungen darüber an, wie Himmel und Erde schmecken würden.

Der Tisch an dem sie standen war aus grobem Holz, dick und stark, der hielt was aus. Der Köbes brachte die Kölschstangen und machte flink drei Striche auf einem der Biedeckel. Das Essen kam. Eine Weile aßen sie schweigend, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.
Dann nahm einer der drei einen Bierdeckel, drehte ihn um und notierte in einer geraden, sehr lesbaren Schrift: Das Jahr mit Mut beginn...

Der Zweite betrachtete ihn von der Seite und zögerte, bevor er fragte:

...

Anonym hat gesagt…

Und du willst wirklich hier und jetzt tanzen?
Ja, draussen ist es mir zu kalt und glatt. und tanzen will ich! Wie sonst soll ich denn den Raum betreten in dem keine Worte je gesprochen wurden? Und dort ist auch die Erlöserkraft wohnend, nach der ich mich so sehne.

Nicole hat gesagt…

... Der Zweite betrachtete ihn von der Seite und zögerte, bevor er fragte:

Hast du deinen innersten Ruf gefunden? Nimmst du das für dich in Anspruch?
Es gibt einen Teil von dir, den du von anderen zu leicht beeinflussen lässt. Sobald jemand deine Motive in Frage stellt, beginnst du, an dir selbst zu zweifeln. Du pflichtest dem anderen bei, noch bevor du dein eigenes Herz gefragt hast. Dadurch nimmst du eine passive Haltung ein, und gehst davon aus, daß es der andere besser weiß ... *

Es folgte eine Stille, in der nur das Stimmengewirr in der Kneipe zu hören war. Keiner der drei sagte ein Wort.
Im vorderen Teil der Wirtschaft klirrten die Gläser und man hörte ein Lachen. Etwas zersprang.

Der Angesprochene blickte den Fragenden an. Dann legte er den Bierdeckel zurück auf den Tisch und steckte den Kugelschreiber ein.
Er wußte keine Antwort. Aber irgendwie hatte er das Gefühl,

...

(* Auszug aus: H.J.M.Nouwen, Folge deinem innersten Ruf, in: Die innere Stimme der Liebe. Aus der Tiefe der Angst zu neuem Vertrauen, Beginn paraphrasiert.)

Anonym hat gesagt…

eh.. bookmarked text ))