06.04.2009

Die unvollendete Mission von Pico della Mirandola. Über einen Frühling

Der Humanist & Philosoph Pico della Mirandola gehört zu den historischen Gestalten, die mich immer wieder stark berühren. Sein Leben und seine Arbeit stehen wie große Fragezeichen im Strom der Zeit. Und immer, wenn er in meiner Aufmerksamkeit auftaucht, scheint er zu sagen: „Vergiss bitte mein Rätsel nicht!“

Direkt an seiner Seite erscheint auch immer sein Freund & Geliebter Angelo Poliziano. Er war ein Dichter, der kein Philosoph sein wollte, weil ihm die Schönheit vertrauter war als die Wahrheit; und weil er meinte, dass er sowieso nicht im Stande wäre, philosophisch auf gleiche Augenhöhe mit seinem zehn Jahre jüngeren Freund Giovanni zu kommen.

Beide sind in Florenz kurz nacheinander gestorben: erst Poliziano im September 1494, dann Pico kaum zwei Monate später, einunddreißig Jahre alt. Man hat wohl gemeint, Pico wäre seinem Freund Angelo „nachgestorben“. Erst letztes Jahr, 2008 also, haben italienische Forensiker einwandfrei festgestellt, dass beide ermordet worden sind. Nach mehr als fünfhundert Jahren wurden hohe Dosen Arsen in ihren Gebeinen gefunden.

Das Leben Pico della Mirandolas ist als ein gewaltiger Versuch des Strahlens zu verstehen. Er wollte Licht & Vertrauen & Energie in das trübe Denken seines Zeitalters bringen. Er meinte, dass die damaligen Kämpfe zwischen Platonikern & Aristotelikern auf einem Missverständnis beruhen würden. In seinen 900 Thesen, die er 1486 verfasst hat, wollte er eine Art Synthese von allen großen Wahrheiten aus den verschiedenen Religionen und Philosophien darstellen.

Seine dritte These lautet: „Homo est homo“ – ein bisschen locker übersetzt heißt das: „Der Mensch ist die finale Ursache des Menschen.“ Mit diesem Satz wurde die Grundidee des Humanismus ergriffen.

Über seine philosophischen Beiträge hinaus war auch seine Erscheinung strahlend schön. Seine Zeitgenossen berichten davon, dass Pico – er war körperlich groß, hatte eine enorme Nase & lange lockige Haare – immer die Aufmerksamkeit seiner Mitmenschen auf sich zog. In seinem menschlichen Verhalten schien er die Verkörperung des humanistischen Menschenbildes darzustellen.

Pico hatte vor, seine 900 Thesen öffentlich in Rom zu verteidigen. Der damalige Papst aber, Innozenz VIII, erklärte Pico zum Ketzer – dreizehn seiner Thesen wurden als häretisch verurteilt. Und damit war die Sache gelaufen. Pico musste auf seinen Vorsatz verzichten & sah sich gezwungen, den liberalen Schutz von Lorenzo de Medici in Florenz zu suchen.

Die einleitende Rede die er in Rom halten wollte, ist unter dem Titel „Über die Würde des Menschen“ berühmt geworden. In diesem Text schreibt er: „Möge unsere Seele vom heiligen Ehrgeiz ergriffen werden, nichts Mittelmäßiges anzustreben, sondern das Höchste zu ersehnen und mit aller Kraft uns anzustrengen, dies zu erreichen. Denn wir können es, wenn wir es nur wollen!“ (Yes, we can!) Pico begriff den Menschen als einen Gott der Freiheit & als einen Bildhauer des eigenen Lebens. Er stellte den Menschen auf eigene Beine, ohne erst Gott töten zu müssen – so wie Nietzsche.

Pico wurde also erst als Ketzer zu einem Außenstehenden degradiert, dann wurde er ermordet. Nach seinem Tod aber war der Widerstand gegen seine Mission nicht vorbei. In seinem Buch „Syncretism in the West: Pico´s 900 Thesen“ macht S. A. Farmer glaubhaft, dass Picos Neffe Gianfrancesco Pico, die letzten Texte seines Onkels „überarbeitet“ hat, dass heißt: so geändert hat, dass man meinen könnte, Pico wäre am Ende seines Lebens ein Anhänger des Anti-Humanisten Savonarola geworden.

Die Mission von Pico della Mirandola blieb unvollendet. Die Vehemenz seiner Widersacher macht deutlich, wie wichtig seine Mission war. Und es ist eigentlich nicht so schwierig, sich vorzustellen, was geschehen wäre, wenn er seine Arbeit zur Ende hätte bringen können. Er hätte nämlich gedanklich-philosophisch das Spielfeld der Renaissance beschrieben. Die großen Arbeiten von Raffael & Michelangelo & Leonardo, die erst nach dem Tod von Pico entstanden sind, hätten eine gedankliche Einbettung gehabt. Anders gesagt: die Mission von Pico hätte dazu geführt, dass die Renaissance nicht nur eine künstlerische Sache geblieben wäre.

Wenn wir heute an die Renaissance denken, denken wir vor allem an Kunst. Für Pico und seine Freunde Poliziano & Lorenzo war die Renaissance aber die Geburt eines Menschenbildes, das bis in das soziale & religiöse & politische & finanzielle Leben wirken sollte. An dieser Stelle ist ein Vergleich mit Joseph Beuys hilfreich: er sprach ja von einer „sozialen Plastik“ - das Prinzip der Kunst wurde von ihm über alle Aspekte des Lebens erweitert.

Hinter die Wolken strahlt noch immer die Sonne von Pico della Mirandola. Manchmal entsteht da oben plötzlich eine Öffnung – und was dann kommt, nennen wir noch immer „primavera“. Richtig erstaunlich ist, dass nach mehr als fünfhundert Jahren, dieser Frühling noch genauso zerbrechlich & fragil & glitzernd ist. Manchmal denke ich: die Mission von Pico hat gerade erst angefangen.

Mit Dank an Sophie Pannitschka

6 Kommentare:

wim maas hat gesagt…

Die Mission von Pico hat gerade erst angefangen, schreibst Du zum Schluss. Hätte er seine historische Mission vollenden können, so hätte er eine gedanklich-philosophische Grundlage geben können für die Renaissance. Ist das auch nicht wonach jeder Zeitgenosse sich sehnt: eine gedanklich-philosophische Grundlage für die LebensKUNST? Die Mission von Pico lebt vielleicht in jedem individuellen Menschenweg fort.

Herzliche Grüsse

Sophie Pannitschka hat gesagt…

Mich hat dein Text über Pico sehr berührt und dazu angeregt, auch etwas über das Schicksalsnetzwerk um Lorenzo zu schreiben.

Es ist zu finden unter:
http://sophiepannitschka.blogspot.com/

Hab Dank für deinen schönen Text.
Herzlich, Sophie

Michael Eggert hat gesagt…

Sehr schöne Anregungen, Danke!

Belinda hat gesagt…

Lieber Jelle,

***Er stellte den Menschen auf eigene Beine, ohne erst Gott töten zu müssen – so wie Nietzsche.***

dieser Satz entlockte mir ein herzliches, befreiendes Lachen aus meiner Seele…

Wunderbar!!! Herrlich!!! Dankeschöööööööööön!!!

Frohe Ostern und herzliche Grüße

Belinda

Jelle van der Meulen hat gesagt…

Liebe Sophie, ich habe deinen Text über Lorenzo de Medici mit Freude gelesen. Es ist erfreulich festzustellen, dass es immer "Konstellationen" von Menschen sind, die etwas bewirken. Herzlich, Jelle van der Meulen

Anonym hat gesagt…

Humanistische Bücher-Gelehrsamkeit !

"Das Pergament, ist das der heil'ge Bronnen,
Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?
Erquickung hast du nicht gewonnen,
Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt..."