Eine Kultur des Herzens. Über gründen und stiften
Eine Kultur des Herzens wird nicht gegründet. Sie ist im Entstehen – sie ist immer im Entstehen, und nur so lange sie im Entstehen ist, kann sie eine Kultur des Herzens genannt werden. Eine Kultur des Herzens kommt ohne Konzepte & Fahrpläne & Landkarten aus, ohne schlaue Systeme & Schemen, ohne Parolen & Satzungen, ohne festgelegte Grenzen.
Eine Kultur des Herzens wird gestiftet, immer wieder & immer wieder neu, zum Beispiel wenn ich einen Kaffee mit dir trinke, und du fragst: „Was ist mit dir los?“ und ich denke: „Ja, mit uns ist ja immer etwas los“ und ich sage: „Mit mir ist los, dass ich mich nach Feuer sehne, ich meine: Feuer zwischen uns, damit etwas geschieht“ und du dann sagst: „Komm, es brennt so richtig, wir machen etwas!“
Oder wenn du sagst: „Zwischen uns gibt es einen Garten, eine Kapelle, eine Werkstatt – einen Raum also, in dem etwas geschehen will, entstehen will, ja, dadurch etwas geschieht, dass etwas entsteht, ohne direkt nützlich oder praktisch oder konkret zu sein, etwas Ungreifbares & Undefinierbares & Erhabenes, etwas Humanes.“ Und wenn ich dann sage: „Es wird sich zeigen, was zwischen uns entstehen kann. Komm, wir geben dem Entstehen Zeit...“
Gründen heißt: physische Fundamente bauen, eine Basis schaffen, Raum & Zeit einbinden und zu unserer Sache verpflichten, im Hier & Jetzt ein Monument aufrichten für morgen und nächstes Jahr, für immer auf der Erde. Stiften ist ein inneres Entzünden. Stiften heißt: die Erde in deine und meine Flammen verwandeln, unsichtbar machen, die Wirklichkeit um eine Stufe höher oder tiefer zu verlegen, das was fest & sicher ist, durch Wärme aufwirbeln zu lassen.
Stiften heißt: sich auf das unsichtbare Gefüge von menschlichen Beziehungen & Orten einzulassen. Ja, Orten... Ein Ort kann mehr sein als eine Projektionsfläche meiner Wünsche, meiner Vorhaben, meiner Vorsätze. In einer Kultur des Herzens sind Orte richtige Partner, die genau wie ich – der „Inhaber“ oder „Mieter“ - etwas wollen. Sie fangen an zu sprechen, wenn ich anfange auf sie zu hören.
In einer Kultur des Herzens ist es erlaubt mit diesem und jenem einfach anzufangen, ohne sich um die Frage zu kümmern, wie es am Ende aussehen soll. Nicht rationale Vermessenheit steuert die Prozesse in einer Kultur des Herzens, als ob man überhaupt wissen könnte, was morgen & nächstes Jahr ansteht, sondern die intelligente Fähigkeit sich überraschen zu lassen. In einer Kultur des Herzens wird man gerne unvorbereitet erwischt.
Weil es ja um Ereignisse geht... Nicht die vorbereitende Planung oder die nachbereitende Dokumentation machen den Puls des Lebens aus, sondern die Ereignisse selber (die ja natürlich Vorbereitung & Dokumentation umfassen können. Gute Dokumentationen sind ja richtige Ereignisse.). In einer Kultur des Herzens gehört alles zum Leben: das Einkaufen einer Flasche Wein, das Öffnen der Flasche, das Ausschänken, das Trinken des Weins, das Reinigen der Gläser nachher, das Entsorgen der Flasche...
Eine Kultur des Herzens wird also nicht gegründet. Das heißt aber nicht, dass man sich nicht um Raum & Zeit & Satzungen & Geld kümmert. Wenn es um gründende Tätigkeiten des Lebens geht, findet in einer Kultur des Herzens eine Verschiebung der Perspektive statt. Raum & Zeit werden aus ihrem statischen Rahmen gehoben und als semantische Einheiten verstanden, als Partner also, die eine Geschichte zu erzählen haben.
Und Geld wird als Geist verstanden, dass heißt: als entzündendes Feuer. Geld soll nicht wie Wasser fließen, sondern wie Feuer brennen. Wenn (finanzielle) Wärme so richtig brennt, entsteht eine Trennung zwischen Körper und Geist: Körper als Rauch, Geist als Licht. Und was ist Rauch anderes als Luft, die verbrannte Körperlichkeit aufwirbelt und sie mühelos-spielerisch zwei Stufen höher transportiert? Der (hoffentlich angenehme) Geruch wird für hundert Nasen frei gemacht und die Asche schlägt sich nieder und wird zum Kompost. Anders gesagt: In einer Kultur des Herzens geht der Wert des Geldes nie verloren.
Wenn die Vergangenheit sich in die Gegenwart verwandelt, kommt die Zukunft auf uns zu. Mit Zukunft ist hier aber nicht gemeint, was wir meinen oder hoffen oder wünschen, dass sein wird. Die Zukunft wird nie sein, so wie die Vergangenheit ist, weil die Zukunft nur dann Zukunft ist, wenn sie in der Gegenwart im Kommen ist. Der Zeitbegriff in einer Kultur des Herzens kriegt eine neue Bedeutung: sie läuft nicht linear von A über B nach C, sondern entzündet sich in B und springt launisch von A nach C, oder gerade umgekehrt: von C nach A.
Mit Dank an Sophie Pannitschka für die Korrektur