Die Waldorferzieherin (1). Eine klärende Vorbereitung
Dieser Text ist als eine Vorbereitung für einen weiteren Text zu verstehen. Nächste Woche werde ich versuchen zu beschreiben, was eine Waldorferzieherin sein muss, ich meine: welche Fähigkeiten sie haben sollte, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Der Text von nächster Woche ist noch im Kommen – er wird eine Art Sprachübung sein, dass heißt, ein Versuch über Worte & Sätze & Redewendungen der Waldorferzieherin näher zu kommen.
Der Anlass meiner Übung liegt in einem Treffen von etwa zwanzig Menschen letzte Woche in Hannover begründet, die sich im Rahmen der Vereinigung der Waldorfkindergärten unter anderem mit der Frage beschäftigten: was soll eine staatlich anerkannte Erzieherin lernen um auch Waldorferzieherin zu sein? Die zuständigen Menschen kommen zweimal im Jahr zusammen & vertreten die Seminare für Waldorfpädagogik in Berlin, Dortmund, Dresden, Hamburg, Hannover, Köln, Mannheim, München, Rendsburg & Stuttgart.
Die Frage was eine staatlich anerkannte Erzieherin lernen sollte, um Waldorferzieherin zu werden, setzt voraus, dass es so etwas wie eine Waldorferzieherin gibt. Aus mehreren Gründen kann aber argumentiert werden, dass es so etwas gar nicht gibt & eben nicht geben kann. In der Lebenspraxis ist allerdings von einer Waldorferzieherin schon die Rede. Die Vorbereitung meiner Sprachübung besteht nun daraus, an dieser Stelle eine Unterscheidung zu machen.
Der Begriff Waldorferzieherin ist mit einer (eventuellen) beruflichen Definition nicht gleichzusetzen. Ein Beruf ist (philosophisch gesprochen) ein „Subjekt“, das auf einer gesellschaftlichen Abmachung beruht. Berufe gestalten sich im Spannungsfeld ZWISCHEN dem Selbst & gesellschaftlichen Vorgaben. Ein Selbst kann mit seinem Beruf nicht identisch sein, weil Subjekte zu beschränkt & fixiert sind, um die Fülle eines Selbstes zu umfassen.
Für manche Berufe sind Rechte & Pflichten in Gesetzen peinlich genau festgelegt. Wenn jemand von sich sagt: „Ich bin ein Arzt oder ein Rechtsanwalt oder ein Lehrer“ bedeutet das einfach, dass er die dementsprechende Ausbildung gemacht hat, offiziell anerkannt ist & sich an ganz bestimmte Regeln zu halten hat. Sich ohne diese gesellschaftliche Anerkennung als Arzt auszugeben, ist eben strafbar.
Mit manchen Berufen ist das anders. Ich darf mich zum Beispiel Künstler oder Journalist oder Entertainer oder Politiker nennen, ohne dementsprechende Papiere vorweisen zu müssen. Diese Berufe sind mehr oder weniger „frei“. Mit dem Beruf Erzieher ist es allerdings so gestellt, dass man schon eine staatliche Anerkennung braucht, um beruflich tätig zu werden.
Den Beruf Waldorferzieherin gibt es in diesem Sinne aber nicht. Das liegt letztendlich nicht nur daran, dass der Staat den Beruf nicht „genehmigt“ - nein, es hat erst einmal damit zu tun, dass die Gemeinschaft von Waldorfkindergärten diesbezüglich selber keine klare Aussage macht. (Solange Waldorfkindergärten Mitarbeiter ohne zusätzliche Waldorfausbildung anstellen, kann auch rein rechtlich gesprochen der Beruf Waldorferzieherin nicht existieren.)
Die Frage ist nun: macht es Sinn die Aufgaben & Fähigkeiten & Tätigkeiten der Waldorferzieherin zu definieren & zu fixieren? Um dort hinzukommen, wird aber ein transparentes „Berufsbild“ oder – klingt offenbar besser – ein „Berufsprofil“ gebraucht, das noch nicht existiert. Ein Berufsprofil kann allerdings nur auf einer Beschreibung des Begriffes der Waldorferzieherin beruhen. Bevor man sich bemüht ein Profil festzulegen, sollte man versuchen sich an den Begriff heranzutasten.
Die Argumentation der Menschen die sagen, dass es prinzipiell keine Waldorferzieherin geben kann, beruht auf der unverkennbaren Tatsache, dass es sich um eine spirituelle Tätigkeit handelt. Würden sie sich auf die Terminologie von Michel Foucault einlassen, könnten sie sagen: die Praxis einer Waldorferzieherin ist nicht nur eine Sache des Subjekts, sondern auch des Selbstes; und die Sachen des Selbstes lassen sich gesellschaftlich nicht „subjektivieren“.
Das gilt aber auch für Ärzte & Rechtsanwälte & Lehrer & Künstler & Entertainer & Politiker & (staatlich anerkannte) Erzieherinnen. Die implizite Behauptung, dass nur Waldorferzieherinnen geistig tätig sind, scheint mir grundfalsch zu sein. Die Frage kann nur sein: worin unterscheidet sich die Waldorferzieherin von anderen Erzieherinnen?
An dieser Stelle gibt es nur zwei Wege: Entweder wehrt man sich gegen jegliche Form von „Subjektivierung“, was aber bedeutet, dass die Gesellschaft zwangsläufig auseinanderfällt – man versteckt sich in der Sprachlosigkeit & kommuniziert nicht mehr mit seinen Zeitgenossen; oder man freundet sich mit dem Gedanken an, dass das Unmögliche zumindest halbwegs ermöglicht werden kann. Das letzte heißt: über die Sprache zu versuchen, die unsagbaren Sachen des Selbstes zu „suggerieren“. Im Grunde ist das eine literarisch-sprachliche Tätigkeit.
Bevor ein Berufsprofil entstehen kann, muss also erst eine Beziehung zum Begriff Waldorferzieher hergestellt werden. Über Begriffe sind in diesem Zusammenhang zwei entscheidende Bemerkungen zu machen: erstens, dass sie nicht in Worte zu fassen sind, (weil Wörter laut Owen Barfield eben keine Flaschen sind – darüber nächste Woche mehr) & zweitens, dass wir denkend & fühlend & wollend auf sie zugehen müssen, oder wie Johannes Stüttgen es immer so treffend sagt: Begriffe sind Bestimmungen.
Ich werde nächste Woche versuchen, mich auf den Begriff der Waldorferzieherin einzulassen. Es wird natürlich bei einer Annäherung bleiben – zu mehr bin ich nicht im Stande. Meine Hoffnung ist aber, dass auch andere auf diesem Weblog (man kann immer einen Kommentar schreiben) oder an anderen Stellen versuchen, eine Sprachübung zu machen. Denn ein Ding ist klar: ohne frische & tiefe & leichte & fröhliche & fragende & bestätigende & umwerfende & beruhigende Beschreibungen kommen wir diesbezüglich nicht vom Fleck.
Mit Dank an Sophie Pannitschka