Kognitionswissenschaft. Über selbstbildende Ereignisse
Die souveräne Existenz des Selbst (oder des Ich) des Menschen lässt sich nicht einwandfrei positiv „beweisen“ oder negativ „verneinen“. In der Kognitionswissenschaft wird gerade das Letztere versucht. Daniel C. Dennet zum Beispiel meint in seinem Buch Philosophie des menschlichen Bewusstseins klar belegen zu können, dass das Selbstbewusstsein nichts Souveränes innehat, sondern eher als eine wilde Ansammlung von willkürlichen „Erzählungen“, die der Mensch sich selbst „erzählt“, um in dem biologisch-evolutionären Prozess zu überleben, zu verstehen wäre.
Und der Gehirnforscher John R. Searle kommt in seinem Buch Geist. Eine Einführung zu der Schlussfolgerung: „Zusätzlich zu einer Abfolge von Erlebnissen und dem Körper, in dem diese Erlebnisse stattfinden, gibt es nicht noch so etwas wie das Selbst. Wenn ich versuche, meine Aufmerksamkeit nach innen zu richten und eine Entität zu beobachten, die mich wesentlich ausmacht, dann finde ich [...] nur einzelne Erlebnisse. Da ist kein Selbst zusätzlich zu diesen Erlebnissen“. Dass wir trotzdem so etwas wie eine kontinuierliche Identität erleben, beruht laut Searle auf dem Umstand, dass wir uns an Erlebnisse aus der Vergangenheit erinnern können.
Es ist in diesem Text nicht meine Aufgabe, die philosophischen und wissenschaftlichen Überlegungen gegen die Existenz des Selbst zu widerlegen – ich wäre damit auch heillos überfordert. Ich kann aber ein Denkangebot machen, das zwar von Argumenten unterstützt wird, im Grunde genommen aber auf Erfahrungen beruht, auf Erlebnissen also, die, anders als Searle meint, nicht als „zusätzlich“ zu verstehen sind. Die Begegnung mit meiner Hoheit und mit den Hoheiten der anderen Menschen ist aus meiner Sicht ein Ereignis, das als Ereignis keine Begründung braucht, genau wie ein Kuss, ein Krieg, eine Geburt, ein Sterben, ein Blitz vom Himmel oder eine Begegnung mit einem anderen Menschen dies auch nicht braucht, um das zu sein was sie alle sind: Ereignisse.
Wie kämen Dennet und Searle übrigens ohne Ereignisse aus? Auch sie begründen ihre Sichtweisen auf Erlebnisse, die allerdings in einem bestimmten Rahmen angenommen oder eben gerade abgewiesen, beziehungsweise dekonstruiert werden, nicht weil sie aus irgendeinem Grund als Ereignis nicht überzeugen, sondern weil sie Unbehagen erzeugen.
Anders gesagt: Die Erfahrung des Selbst lässt sich in der Tat schwer denken und einordnen, das heißt, es lässt sich nicht mit anerkannten Mitteln der Wissenschaft in das theoretische Gebäude der Wissenschaft integrieren. Eigentlich würde es schon reichen von der Idee (nicht einmal der Existenz) des Selbst zu sprechen: Sie sprengt alle Rahmen. Sich allerdings von dieser Idee zu verabschieden, würde einfach heißen, dass auch das Buch von Dennet nur „Erzählungen“, die er sich selber zum Überleben erzählt, beinhaltet.
Sein stolzes Buch, mit dem stolzen Titel und dem stolzen Eigennamen würde lediglich die Illusion bieten, die er gerade versucht zu demontieren. Sein Buch als Ereignis beruht auf einem Widerspruch, einfach deshalb, weil auch Dennet nicht ohne selbstbildende Ereignisse auskommt.