09.09.2012

Vier Monate alt. Über meine Tochter und ein Baumelding

Meine Tochter sitzt auf meinem Arm und schaut mich an. In ihren Augen sehe ich erst ein Lächeln, ich könnte nicht sagen, was es bedeutet – sie freut sich offenbar über irgendetwas. Dann wird sie wieder ernst, sehr ernst, sie schaut auf meinen Pullover, auf den Reißverschluss an meinem Hals. Dort hängt ein kleines Ding, womit der Verschluss auf und zu gemacht werden kann. Es ist aus grauem Metall, zwei Zentimeter lang, baumelt den ganzen Tag auf meiner Brust nutzlos vor sich hin, unbeachtet...


Aber gerade jetzt wird das Ding aufmerksam wahrgenommen von meiner kleinen Tochter, sie meint irgendwie, es wäre das Zentrum der Welt, alles andere um sie herum verschwindet, auch ich, der doch der stolze Träger des Dinges (und meiner Tochter) ist. Ihre Aufmerksamkeit ist ungeteilt, richtet sich auf das Eine, das im Moment zählt, das Ding (das den ganzen Tag nutzlos hin und her baumelt).

Dann bewegt sie ihren rechten Arm, versucht ihre rechte Hand in die Richtung des Dinges zu kriegen; sie weiß, dass es möglich ist, das Ding zu berühren, eben zu ergreifen, sie weiß jedoch nicht, wie das genau geht, sie versucht es und versucht es... Ein leichtes Zittern zieht erst in ihren Arm, dann in ihren ganzen Körper, eben ihr Köpfchen zittert mit. Ihr Blick bleibt nichtsdestotrotz fest auf das Ding gerichtet, sie ist bereits mit dem Ding verbunden und lässt nicht los.

Ich lasse sie, helfe nicht, was ich leicht tun könnte – ich könnte sie zum Beispiel ein bisschen nach vorne lehnen, sie dem Gegenstand näher bringen, den Abgrund zwischen ihrem Händchen und dem grauen Baumelding kleiner machen. Ihr Arm ist lang genug, sie könnte es schaffen. Und sie will es schaffen, ihre Augen verraten einen Ernst und eine Entschiedenheit, die mit so etwas Unwesentlichem wie Hilfe nicht rechnet.

Das Zittern, so scheint es mir, entsteht dadurch, dass ein Wollen vorhanden ist, das seinen Weg bis in die präzisen physischen Verhältnisse noch nicht gefunden hat. Mit einem kräftigen Maß an Willenskraft sucht meine Tochter die Berührung mit dem grauen Ding, die Kräfte fließen und schießen in alle Richtungen: in ihren Kopf, ihre Arme, ihre Beine. Ihr ganzer Körper ist dabei.

Ich schaue und staune. Und für ein paar Minuten bin ich ganz bei meiner Tochter, genauso wie sie bei dem Baumelding ist. Ich tue allerdings gerade kaum etwas, halte meinen Körper eher regungslos, will nichts greifen, nichts bewegen, nur meine Tochter auf meinen Armen tragen und zuschauen. Und doch gibt es irgendwo in mir auch ein Zittern, ganz leicht, ganz still, vielleicht vergleichbar mit dem Zucken der Haut eines gerade geborenen Eselchens. Auch das Staunen hat etwas Zittriges...

Als sie das Ding endlich mit ihrem Händchen ergriffen hat, scheint eigentlich gar nichts erreicht worden zu sein. Meine Tochter ist eher verwirrt, hält das Ding zwischen ihren Fingern und schaut um sich herum. Sie weiß nicht, wie es wieder loszulassen wäre, weiß nicht einmal, dass es so etwas wie loslassen überhaupt gibt. Sie fängt ein bisschen an zu quengeln, macht „uh“ und „brr“ und „möh“, sitzt auf meinem Arm, für ewig verbunden mit dem kleinen Baumelding.

Vorsichtig öffne ich ihr Fäustchen, sie merkt es nicht einmal. Als aber das Ding wieder frei und nutzlos auf meiner Brust hin und her baumelt, fängt meine Tochter von vorne an. Sie wird ganz ernst, schaut auf den Gegenstand, so, als ob sie ihn zum ersten Mal sieht, so, als ob er auf einmal ganz neu in der Welt erschienen wäre, versucht ihn zu ergreifen... Und arbeitet sich zitternd durch, bis sie aufs Neue ewig mit ihm verbunden zu sein scheint...

3 Kommentare:

Ruthild hat gesagt…

Lieber Jelle, Deine Beschreibung ist eindrücklich: Wer sich auf Kinder einlässt, besonders auf ganz kleine Kinder, erlebt eine Revolution der Maßstäbe: Was ist wichtig, was ist unwichtig im Leben? Welch ungeheurer Ernst, welche Willenskraft und Liebe, mit der die Kinder in die Welt schauen und die Dinge greifen. Und von allem, was sich bewegt, geht eine besondere Anziehungskraft aus... Die ganz kleinen Kinder können unsere Lehrmeister sein!

Liebe Grüße Ruthild

Andrea hat gesagt…

Ja stimmt,
Schön dass du dieses Zeitvergessen diese Schwerelosigkeit oder Zeitlosigkeit um die ganz kleinen Kinder so schön beschreibst. Mercie.
Herzliche Grüsse Andrea

Clinton hat gesagt…

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