15.03.2013

Text in Uelg

Ich möchte heute einmal über eine Wolke schreiben, die gleichzeitig Außenraum und Innenraum ist; die sich um uns herum befindet, auch zwischen uns, vor allem in uns – um sie zu lokalisieren werden schon ein paar Präpositionen gebraucht: an, auf, hinter, neben, in... Und um sie zu verstehen, müssen wir weit in die Vergangenheit zurück gehen, dahin, als sie im Indogermanischen noch „uelg“ genannt wurde, was ungefähr „feucht“ bedeutete, „Nebel“ etwa, also Wasser in schwebendem Zustand, langsam von oben nach unten kommend, oder umgekehrt von unten nach oben steigend, leicht tanzend, weil sie von den Bewegungen der Luft getragen wird, sich ausdehnend oder zusammenziehend... Die Wolke umfasst und durchdringt uns, bewegt das, was hinter unserer Haut strömt, löst es auf, vermischt es mit dem Wasser draußen, mit dem Licht auch, das wie Milch ausgebreitet wird, wie Nahrung für die Augen... Wir denken nicht mehr oft daran, aber wahr bleibt wahr: Wir sind Wolkenwesen, die sich verirrt haben in feste Körper, in Händen und Füssen stecken geblieben sind, an einem Baby sieht man es noch: Es krabbelt, mammelt, löffelt, würmelt, verdrießelt und verdrasselt wie eine Wolke, die es umgibt, es krabbelt und frütselt und murmelt sich quasi aus der Wolke raus... Und wenn es mit seinen scharfen Zähnen in meine Nase beißt, das macht es gerne, hat es keine Ahnung davon, dass mir das weht tut, weil es als Wolke wohl keine Schmerzen gibt... Und mein halb gespieltes und halb gemeintes „Au“ ist höchstens der Schrei eines schwarzen Raben, der in der luftigen Feuchtigkeit gleich verschwindet, nur einen leichten Schrecken hinterlässt, ein befremdetes Staunen, das irgendwie zum Körper führt, dorthin, wo alles trocken scheint, nur scheint... Ja, das kleine und das große Bangen verankert uns in unserem Körper. Die Wolke, möchte ich heute sagen, ist überall, sie ist nicht verschwunden, auch wenn wir ihrer Präsenz nicht habhaft werden. Und sie heißt noch immer „uelg“, ein Wort, das unser Mundwerk wolkig und unsere Worte poetisch macht.